Im Werra-Meißner-Kreis gibt es außer der Schülerbeförderung keinen kreisfinanzierten Öffentlichen Personennahverkehr mehr, die hohen Defizite waren einfach nicht mehr zu schultern. Diese Aussage von Landrat Stefan Reuß (SPD) sorgte für einige Verblüffung bei den zahlreich erschienen Zuhörern im TTZ in Marburg. Die Folgen der Demographie werden in einer ländlich geprägten Region wie dem Werra-Meißner-Kreis eben am ehesten spürbar, so Reuß weiter. Umso wichtiger sei es, dieser Entwicklung nicht tatenlos zuzusehen, sondern neue Ideen zu entwickeln, die die Mobilität auch auf dem flachen Land, gerade auch für junge und ältere Menschen, sichern.
Als ich vom Projekt Mobilfalt (www.mobilfalt.de) vor einigen Monaten das erste Mal hörte, war ich gleich sehr angetan von der Idee traditionelle, öffentliche Angebote wie die Buslinien mit privaten Autofahrten zu verknüpfen. Kreativität statt Weiter so, nur so kann Mobilität auch im Landkreis Marburg-Biedenkopf nachhaltig gesichert werden, so der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion Michael Richter-Plettenberg, der die Veranstaltung Mobilität für alle die Zukunft des ÖPNV moderierte.
Mobilfalt eine griffige Wortkreation aus Mobilität und Vielfalt – verbindet öffentliche Angebote wie Zug, Bus, Anrufsammeltaxi oder Bürgerbus mit dem Individualverkehr (Auto, Taxi). Autobesitzer bieten Fahrten über das Internet oder telefonisch über eine Mobilitätszentrale an, Nutzer fragen diese auf gleichem Weg ab. Die angebotenen Fahrten werden in die Fahrpläne des Nordhessischen Verkehrsverbundes (NVV) eingebunden. Fahrer und Mitfahrer müssen sich zunächst einmalig bei der Mobilitätszentrale registrieren und ein Mobilitätskonto einrichten. Über dieses Mobilitätskonto werden Einnahmen und Ausgaben für Fahrer und Mitfahrer verrechnet. Fahrer erhalten 0,30 pro Kilometer, Mitfahrer zahlen innerhalb einer Gemeinde einen Euro Gebühr, geht die Fahrt weiter, sind zwei Euro zu zahlen. Die Abwicklung erfolgt über eine eigens entwickelte Software des NVV. Der Verkehrsverbund garantiert, dass jede gewünschte Fahrt innerhalb des Projektgebietes innerhalb einer Stunde realisiert wird und das 24 Stunden täglich. Sollte kein Fahrer zur Verfügung stehen, führen vertraglich eingebundene Taxiunternehmen die Fahrten durch.
In der sich anschließenden lebhaften Diskussion, an der sich u.a. auch Vertreter des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), des Fahrgastbeirates und der Stadtwerke Marburg beteiligten, wurde das zunächst bis Ende 2014 befristete Pilotprojekt in allen Redebeiträgen als wegweisende Idee für eine nachhaltige Mobilität gewürdigt.
Mobilität ist ein zentrales Bedürfnis aller Menschen. Leute die sich kein Auto leisten können oder wollen, dürfen da nicht ausgeschlossen werden. Auch ältere Menschen und Jugendliche benötigen ein funktionierendes und bedarfsgerechtes Nahverkehrssystem. Ich hoffe, dass sich das Pilotprojekt bewährt und auch im Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) etwas Ähnliches auf den Weg gebracht wird, erklärte Michael Richter-Plettenberg in seinem abschließenden Resümee.
Mobilfalt startete genau am Tag der Veranstaltung der SPD Kreistagsfraktion und fand an diesem Wochenende ein bundesweites Presseecho.